Die Auferstehung

Im Dürresommer vernichtet ein Feuer 400 Hektar Kiefern in Brandenburg. Seitdem experimentieren Förster und Forscher in dem riesigen Freilandlabor: Welche Art von Wald kann dem Klimawandel trotzen?

[stern, September 2021 und GEO, Juli 2021]

Den neuen Wald karrt Dietrich Henke in weißen Säcken in sein Revier. Darin stecken Eicheln, Nüsse des Ahorns und der Hainbuche. Fast drei Tonnen. Von Bürgern in Parks und an Alleen aufgelesen, von Henke gelagert und gewässert. Die drei Forststudenten, die bei ihm im Praxissemester sind, mussten jede Frucht auf Pilzbefall prüfen und darauf, ob der Eichelbohrer mit seinem Rüssel drin war. An einem Novembermorgen 2019 baut sich Henke vor den Studenten auf und ritzt mit der Stiefelspitze seinen Plan in den Matsch. „Die Fläche am Zaun, da verteilt ihr das Zeug!“, ruft er. Dann schnallt er sich eine Wanne voll Eicheln vor den Bauch, schleudert die Früchte nach links und rechts, in die verbrannte Erde, die mal sein Stadtwald war. Henke stapft dabei durch Laub, das er von Ladeflächen kippen ließ, es soll die biologischen Kreisläufe stärken. Rascheln – ein neuer Klang im Treuenbrietzener Wald.

Denn mindestens 100 Jahre lang, schätzt Henke, wuchs hier nur Kiefer an Kiefer, bedeckte Nadelstreu die Böden. Die brennt wie Zunder in Dürresommern.

Genau das geschah am 23. August 2018, als es in der sengenden Mittagshitze plötzlich knallte und dann tagelang brannte in Treuenbrietzen in Brandenburg. Dutzende Menschen mussten evakuiert werden. In der ausgedörrten Stadtwalderde hatte sich vermutlich eine rostige Granate oder andere Weltkriegsmunition entzündet. Das Feuer marschierte durch die Kiefernreihen, übersprang, angefacht durch Böen und weitere Munition, Bahntrasse und die Bundesstraße. Fast 400 Hektar Wald gingen in Flammen auf, so viel wie im Jahr zuvor im ganzen Bundesgebiet.

Ein Förster, der seine Bäume verlor. Klingt nach einer tragischen Figur. Henke aber schwärmt. Von der „wahnwitzigen Wuchsdynamik“ der Natur. Dank Samenflug und Samenbanken in den unversehrten Bodenschichten spross zwischen Ruß und Asche bald zartes Grün. Hornzahnmoos, dann Zitterpappeln – und nun legt Henke richtig los. Er spricht von einer „einmaligen Chance“.

Die sieht nicht nur er.

„Die Welt blickt auf Treuenbrietzen“, sagt Pierre Ibisch, Professor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Die Gegend erlebte auf einen Schlag, was anderswo schleichend geschieht: In Deutschland sterben den Wäldern die Bäume weg. Fast 300 000 Hektar sind laut Waldzustandsbericht der Bundesregierung schwer geschädigt und müssen wiederbewaldet werden. Aber wie – und womit? Und wie schützt man den Rest vor den Folgen des Klimawandels, vor Hitze, Dürre, Starkregen?

Für diese Fragen gerät das Örtchen in Südbrandenburg zum Labor. Weil dort drei Fraktionen, jede auf ihre Weise, nach dem Brand den Waldneustart wagen.

Da sind Henke und sein Stadtwald auf der einen Seite der Bundesstraße 102. Nie ließe er sich entlocken, dass ihm das Feuer gelegen kam, welcher Förster würde sich über einen Waldbrand freuen? Aber er ist jetzt Anfang 50, bis zur Rente hätte er die Flächen nicht mehr entscheidend umgestalten können. Sie wären Kiefernforst geblieben. Jetzt malt er sich aus, wie er im Alter mit seinem Sohn durch Vielfalt spaziert. Die Eichelaktion sei ein Novum, sagt er, „Saatverfahren auf Brandflächen nach Henke“, solle man notieren, sonst schmückten sich hinterher andere mit den Federn.

Die stärksten der verkohlten Kiefern stehen zu lassen war ebenfalls seine Idee. Sie stellen sich dem Reitgras entgegen, das andernorts Wälder versteppen lässt, spenden Schatten, schützen vor Sturm, halten Humus und Feuchte auf der Fläche, helfen also den fragilen Pflänzchen in ihrer Anfangszeit. Weht es die toten Bäume in zwei, drei Jahren um, „steht die nächste Generation schon in den Startlöchern“, sagt er. Einige der Kiefern will er dann liegen und vermodern lassen. Holz tut dem Wald gut. Lebendig oder tot.

Der Wald auf der anderen Seite der B 102 gehört Privatleuten. Die sehen die Sache ganz anders als Henke: Die verkohlten Baumstämme landeten dort restlos im Trommelhäcksler. Um wenigstens ein bisschen Ertrag aus dem Unglück zu holen, erklärt Wolfgang Seehaus. Die Flächen wurden gepflügt und neue Kiefern gepflanzt. Forst-Business as usual. Seehaus ist Mitglied und Sprecher der Bardenitzer Waldgenossenschaft, in der sich knapp 80 Kleinwaldbesitzer Kosten und Erträge teilen und gemeinsam über das Schicksal ihrer zusammenhängenden Flächen entscheiden. Vier bis fünf Millionen Euro Holzwert, überschlugen sie, hatte der Brand in Rauch aufgelöst.

Seehaus‘ Flecken Wald ist ein Familienerbstück, schon als Junge habe er dort den einen oder anderen Baum „umgemacht“, für Brennholz. Von früher, sagt er, heute Mitte 60 und Ruheständler, sei er das gewöhnt gewesen: „Wenn Waldbrand war, wurde abgeholzt und neu aufgeforstet.“ Ihr Revierförster und andere Verantwortliche des Landesbetriebs Forst Brandenburg rieten zum Räumen. „Wir müssen wirklich sehen, dass wir die Flächen schnell wieder zu Wald machen“, begründete im Fernsehen eine Vertreterin des Landesforsts. Sie glaube, „dass man sich in Zeiten des Klimawandels den Luxus des Wartens und Zuschauens nicht leisten kann“.

Mit dem Geld des Brandholzes orderten die Bardenitzer neue Bäumchen, knöchelhoch. Wieder Kiefern. „Wir machen den Wald wieder schick“, versprach ihr Revierförster.

Ein ähnliches Ziel verfolgt auch eine Gruppe von Forschern, geleitet von der jungen Waldökologin Jeanette Blumröder von der Hochschule Eberswalde. Doch sie schlagen dafür einen ganz anderen Weg ein als die Privatbesitzer und der Stadtförster.

Als Blumröder Fernsehberichte über den Brand sah und Dietrich Henke sprechen hörte, dachte sie: Das ist vielleicht ein Förster, mit dem man reden kann. Blumröder, 35, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Sie hat nicht Forst, sondern Global Change Management studiert: Wie springt der Mensch mit Naturressourcen um? Damals in den Seminaren sprachen sie eher abstrakt über den Klimawandel, mit Modellen und schlecht aufgelösten Satellitenbildern, erinnert sie sich. „Und dann schlug einer der Effekte mitten vor unserer Haustür ein.“ Ein Drama. Aber auch: „eine riesige Forscherspielwiese“.

Sie fädelte ein Treffen mit Henke ein, Pierre Ibisch kam mit, ihr Chef an der Hochschule, eine Koryphäe im Waldnaturschutz. Die Stadt gab ihnen 28 Hektar Versuchsfläche für ihr Projekt „CleverForst“. Die Natur, so die Idee, ist schlau genug, selbst auf Schäden zu reagieren. Weitere Forscher kontaktierten Henke, die er weiter an Blumröder verwies. Plötzlich liefen bei ihr alle Fäden zusammen – aus diesen strickte sie ein viel größeres, interdisziplinäres Projekt: „Pyrophob“ – feuerabweisend. Sie beantragte Geld vom Bund und bekam 4,6 Millionen Euro. Der Plan: fünf Jahre Daten sammeln, wie sich nach Feuern Wasserhaushalt, Mikroklima, Flora und Fauna entwickeln, und daraus ableiten, was Wäldern Kraft gibt im Klimawandel.

Während Teile der Forstwissenschaft mit Bäumen trockener Weltgegenden experimentieren, mit Türkischer Tanne oder Libanonzeder, werben Waldökologinnen wie Blumröder für Naturverjüngung, für heimische Pflanzen, die von allein wachsen. Vor allem sehen sie im Wald kein Nebeneinander von Bäumen, sondern ein komplexes Ökosystem, ein Netz unzähliger Organismen. Pilze, Kräuter und Baumarten stärken sich, sie rangeln auch um Nährstoffe und Sonnenlicht, aber richten sich doch miteinander ein. Wer durchkommt, ist angepasst.

Dass Wälder es großflächig in dieses Jahrtausend schafften – immerhin bedecken sie ein Drittel Deutschlands – verdankt sich ausgerechnet unserem Holzhunger. Der wuchs vom Mittelalter zur Industriezeit immer weiter, ganze Urwälder endeten in den Schmelzöfen von Glashütten oder als Grubenholz. Der Nachschub dufte nie versiegen, wer rodet, muss aufforsten, so will es das Gesetz bis heute. Statt der ursprünglichen Buchen oder Linden wurden meist Kiefern und Fichten gepflanzt, die wuchsen rasch und genügsam. Und ließen sich, anders als manch störrisches, anfälliges Laubholz, leicht zusägen und für langlebige Konstruktionen nutzen.

Das Problem: Artenarmut macht anfällig. Nadelteppiche entziehen den Böden Nährstoffe, die dann den Bäumen fehlen, um sich etwa gegen Stürme zu stemmen. Der Borkenkäfer fliegt von Fichte zu Fichte, stünden dazwischen andere Arten, ginge ihm bald der Treibstoff aus. Auch fehlen Kräuter, Moose, Sträucher, die vor Feuern und dem Vertrocknen der Böden schützen.

Die Waldgenossenschaft musste ansehen, wie sich im Sommer 2019 ihre grüne Hoffnung braun färbte. Die gepflanzten Kiefern, eine nach der anderen, gingen ein. „Das Frühjahr war einfach viel zu trocken“, klagte Seehaus damals gegenüber einer Zeitung.

Solche Sätze lassen Jeanette Blumröder verzweifeln an konventioneller Forstwirtschaft: „Sie hoffen auf Regen. Und sehen nicht, dass es auch ein Systemfehler ist.“ Das nackte Feld der Waldgenossenschaft – für sie Symbol eines gescheiterten Wirtschaftsmodells. Aber auch Henkes Treiben sieht sie bisweilen skeptisch. Dass er etwa im November 2019 mit Eicheln um sich warf, als wären sie Kamelle an Karneval. Denn aus den Eicheln wächst die Roteiche, die aus Nordamerika stammt und neben sich kaum andere Arten duldet. Henkes Stolz ist zudem ein Raster von Fahrschneisen für Forstarbeiten. Blumröder findet: Wirtschaftswege zerschneiden den Wald, die Fahrzeuge, 20 Tonnen und schwerer, versehren Feinwurzeln und Pilzgeflechte, über die Bäume Wasser und Nährstoffe aufnehmen.

Klar, sagt Henke: Die Natur regelt alles. „Aber der Zeitraum, über den das passiert, ist einfach zu lang.“ Wälder hätten auch eine Nutzfunktion.

Der Streit über den Wald der Zukunft wird nach jeder weiteren Katastrophe hitziger geführt. Fast 400 Millionen Bäume gingen in Deutschland 2018, 2019 und 2020 verloren. Durch Feuer, aber noch häufiger durch Dürre, Stürme, Käferbefall. Alle Todesarten eint die Ursache Klimakrise: Böden trocknen aus, Bäume büßen ihre Abwehrkräfte ein, manche tragen im Juli schon ihr Herbstkleid.

Und das sind Resultate aus drei Hitzejahren, die nur ein Grad über dem Referenzwert lagen. Bis 2100 rechnet der Deutsche Wetterdienst aber mit drei bis vier Grad, sofern es nicht innerhalb der nächsten zwei Dekaden gelingt, aus den fossilen Energien auszusteigen.

Wie muss ein Wald aussehen, der solchen Extremen trotzt? Diese sogar mindert? Intakt bindet er enorme Mengen Kohlenstoff, was den Treibhauseffekt bremst. Dafür muss der Retter aus der Opferrolle raus.

Michael Rumberg, der an der Hochschule Rottenburg zu Ökobilanzen und Klimapolitik forscht, findet, dass sowohl Naturschützer als auch die klassische Forstfraktion das große Baumsterben für ihre Sicht instrumentalisieren. „Von der einen Seite heißt es, wir haben ja schon immer gesagt, dass es so nicht weitergeht. Die andere sagt, jetzt müssen wir erst richtig eingreifen, um dem Wald zu helfen.“ Dabei hätten doch beide das gleiche Ziel: die Vielfalt der Wälder zu stärken. Was Rumberg allerdings draußen beobachtet: „Der Mut, einen Teil des Waldes der eigenen Dynamik zu überlassen, der fehlt vielen Waldbesitzenden noch.“

Anfang Mai 2021, im dritten Frühling nach dem Brand, stehen fünf Männer im Sand und warten auf eine Ortsgruppe der Grünen, die mithelfen will, den neuen Privatwald zu pflanzen. Der Tag kratzt an der 30-Grad-Marke, Wolfgang Seehaus aber trägt einen Wollpulli und fragt seinen Mitstreiter im Hemd, ob er ihm eine Jacke aus dem Auto holen solle. Wind hastet über ihren abgeholzten Genossenschaftswald, lässt auch das Espenlaub zittern. Espe, so sagt man noch zur Zitterpappel, die breitet sich auch bei ihnen rasant aus, trotz fehlenden Kiefernschirms. Wie postwendend und flächendeckend sie die Brandflächen eroberte, erstaunte die Pyrophob-Forscher. Leider tauge Pappelholz nicht viel, sagt Seehaus, man nutzte es für Streichhölzer und Schlachttröge, braucht keiner mehr.

Jeder Tritt stiebt. Dabei brachte das Frühjahr viel Regen, „der Wind trägt die ganze Feuchte fort“, klagt einer der Männer. Genau das sagen ja die Ökologen. Den Kahlschlag halten die fünf Männer aber weiter für richtig. Irgendwie müssen sie die Flächen pflegen, wie soll das gehen, mit Bäumen kreuz und quer? Und der Stadtförster drüben, der muss nach jedem Windwurf Zäune reparieren.

Ohne den Zusammenhalt der Waldgenossenschaft hätten viele Geschädigte nach dem Brand aufgegeben, glauben die Männer. Die alten Waldbauern hatten ihre Pferdefuhrwerke, deren Enkel, heute die Eigentümer, wohnen in Städten, wie wollten die ihre Flächen räumen? Mehr als die nächste Baumgeneration sorgt sie der eigene Nachwuchs, sein Desinteresse am Walderhalt. „Mein Junge lebt in Biberach, meine Tochter in Kahla, weit weg“, sagt einer. Sie haben nicht Jahrzehnte im Wald geackert, damit ihre Kinder ihn an den nächstbesten Bieter verscherbeln. „Land verkauft man nicht, so bin ich erzogen worden“, sagt der Jüngste der fünf, er hat seinen Wald, nicht mal einen Hektar, von der Oma geerbt.

Alles kleine Leute, hatte einer berichtet, der die Waldgenossenschaft gut kennt. Genau sie gilt es einzubinden in die Waldwende. Denn die kleinen Leute bilden eine riesige Schar: Die Hälfte des deutschen Waldbestands gehört Privatleuten, die meisten besitzen jeweils wenige Hektar, weshalb allein Brandenburg rund 100 000 Waldbesitzer zählt.

Ja, sagt Seehaus, sie fielen mit den Kiefern auf die Nase. Aber auch wenn die nicht eingegangen wären, die gesamte Fläche hätten sie nicht mit ihnen bepflanzt. Das Feuer war doch auch ihnen Lektion. Vom Brandholzerlös konnten sie ohnehin nur Kiefern für ein Zehntel der Schadfläche kaufen, sie kosten je Hektar um die 4000 Euro. Laubbäume leicht das Vierfache. Trotzdem wachsen nun auf Teilen der Fläche Birke, Robinie, Spitzahorn. Roteichen sollen mal einen Brandschutzriegel bilden. Organisationen spendeten die Bäumchen, der Baumschulenverband oder ebenjene Grünen-Ortsgruppe aus Berlin-Mitte, die sich für heute angekündigt hat. Und im März 2020, „Riesenaktion“, rückten 200 Freiwillige mit Spaten an, Rentner aus Nachbardörfern, Familien aus Berlin, Fridays-for-Future-Aktivisten. „Die jungen Leute standen in aller Frühe auf, um mit ihren Fahrrädern pünktlich hier zu sein“, erzählt Seehaus. Sogar die Staatssekretärin ließ sich blicken, pflanzte eine Stieleiche für die Fernsehkamera und sprach ins Mikro, Wald habe große Bedeutung für die deutsche Seele.

Wälder bieten den Menschen mehr als Spaziergänge, etwa sauberes Grundwasser – trotzdem zahlen Besitzer Gewässergebühren. Und lassen sie ihr Holz im Wald verrotten, trägt es vielleicht zum Kühlen der Landschaft, aber nichts zum Einkommen bei. Wald kostet. Und bringt nur durch Holz Geld.

Verschiedene Akteure werkeln daran, künftig auch seine weiteren Leistungen zu honorieren: das Filtern, Kühlen, Speichern, das Naturerlebnis. Es wäre eine Revolution – die wahrscheinlicher wird. Kürzlich sprachen sich die Umweltministerkonferenz und der Bundestag dafür aus, forciert durch das massive Baumsterben, das Waldbesitz zunehmend unwirtschaftlich macht.

Die Gesellschaft könnte Besitzer künftig für ökologische Standards bezahlen und für Funktionen, die ihr Wald erfüllt. Aktuell geht Steuergeld eher für Harvester-Einsatz und Baumschule drauf: 800 Millionen Euro versprach Waldministerin Julia Klöckner für Wiederaufforstungen. Was Stadtförster Henke „blinden Aktionismus“ nennt und Jeanette Blumröder einen Anreiz, erst recht großflächig abzuräumen und aufzuforsten. Sie gäbe Waldbesitzern lieber Geld fürs Nichtstun.

Die Grünen-Ortsgruppe taucht im Sand auf. Sie möchten weitere Flächen zum Pflanzen auswählen. Im Herbst vor zwei Jahren lief ihre erste Aktion, sie kamen mit viel Idealismus, fuhren mit Schwielen und Rückenschmerz. Diesmal wollen sie mehr auf die Waldbauern hören. „Wie wir gepflanzt haben, war Ihnen zu chaotisch?“, fragt einer aus der Ortsgruppe und grinst. Bisschen geordneter wäre gut, antwortet Seehaus, drei Reihen Eiche, dann zwei Reihen Birke, das erleichtere die Baumpflege.

Wie Wald den Treibhauseffekt am wirksamsten dämpft, auch darüber streiten Naturschützer und Holznutzer. Fakt ist: Pflanzen bestehen zu erheblichen Teilen aus Kohlenstoff, binden ihn über Fotosynthese aus der Atmosphäre. Der Stoff verbleibt auch im Holz, wenn es geschlagen wird – weshalb die Forstfraktion von Holzarchitektur schwärmt. Unsere Städte als gewaltige Kohlenstoffsenken, so die Vision. Naturschützer dagegen wollen Bäume lieber älter werden lassen, dann wüchse die Biomasse und mit ihr der Kohlenstoffspeicher.

Nach einer Rechnung der Uni Freiburg entlasten hiesige Wälder die Atmosphäre im Jahr um 58 Millionen Tonnen Treibhausgase. Holz als Baustoff spart weitere 30 Millionen Tonnen, weil es Beton, Stahl oder Alu ersetzt, Materialien mit mieser Ökobilanz. Michael Rumberg plädiert für einen Mix: Er möchte, dass geschädigte Wälder viel häufiger sich selbst überlassen werden, um aus den natürlichen Prozessen zu lernen. Und er möchte Holzprodukte nachhaltiger nutzen: Damit Holz auch außerhalb des Waldes das Klima schützt, muss sein zweites Leben so lang wie das erste währen, 80, 100 Jahre. Noch stellt Deutschland mehr kurzlebige als langlebige Holzprodukte her. Kartons statt Häuser.

Kurz vor Pfingsten, am Rand der CleverForst-Fläche. Jeanette Blumröder weist zwei Studenten ein, die das Pyrophob-Team verstärken. Sie brauchen Brillen, gegen „Schnipper“ – peitschende Pappelzweige. Und Helme, obwohl die im Fall des Falles nicht viel helfen würden: Viele der toten Kiefern knirschen und schwanken inzwischen, mehrere sind bereits umgestürzt. Deshalb: Immer mal nach oben schauen bei der Datenaufnahme. Als wolle er zeigen, dass es noch gefährlichere Jobs gibt, als Bäumchen zu vermessen, spaziert an der Gruppe ein Kampfmittelbeseitiger vorbei, in den Händen einen rostigen Sprengkopf. Die Suche nach alter Munition im Stadtwald läuft noch.

10 848 Bäume haben Blumröder und ihr Team bisher an den Messpunkten gezählt. Sechs von zehn kamen von selbst, darunter der Rekordbaum, natürlich eine Pappel, mit 3,40 Metern so hoch wie eine Parklaterne. Sie bittet die Studenten noch, besser nicht mit den Schuhen zu scharren, das sähen die Bodenkundler nicht gern. Im CleverForst bilden inzwischen Moose und Gräser blickdichte grüne Schleier. Unter den Roteichen des Stadtförsters hingegen zeigt der Schleier Löcher, und drüben, im Privatwald, musste die Moosforscherin zum Teil lange nach Proben suchen. Der Entomologe fing dort Holzkäfer, aber nur in den Stümpfen. Auf der Stadtseite bevölkern sie die Baumkronen, Stämme, Rindenreste. Sie zersetzen Totholz, das hilft dem Boden. Pappeln und Birken, Käfer und Moose: „Das bekommt man alles kostenlos“, sagt Blumröder.

Auch die Forschungsstelle des Landesforsts, LFE, die im Projekt für den Wissenstransfer in die Forstpraxis sorgen soll, sieht die Naturverjüngung als Erfolg. Überließen Waldbesitzer die kargen Lagen der Natur, sinke finanziell und rechtlich der Druck, sagt der LFE-Projektleiter : Auch mit Naturverjüngung gilt nämlich Paragraf 11 des Waldgesetzes erfüllt, wonach Schadflächen binnen drei Jahren wieder zu bewalden sind.

Was das Pilzteam auf der Privatseite häufiger fand: Mykorrhizapilze, die vom Baum Zucker ziehen und ihm im Tausch Mineralstoffe und Wasser liefern. Wo der Baum gut versorgt ist, muss er keinen Pilz durchfüttern, wo nicht, geht er solche Symbiosen ein. Die Vegetationsleute entdeckten Liegendes Hartheu und Vogelfuß, Kräuter, die Jahrzehnte wie Schläfer im Verborgenen schlummerten. Sie binden Stickstoff, auch den braucht der Baum.

Die Natur hilft sich. Wenn man sie lässt. Die Waldgenossenschaft ließ bereits Pappeln entfernen – für ertragreichere Arten. Dabei wüchsen auch im CleverForst später nicht nur Pappeln, sagt Blumröder. Eichelhäher, Eichhörnchen und auch der Wind brächten andere Arten ein. Besitzer zu zwingen sieht sie aber nicht als Weg. Lieber überzeugt sie. Die Oberförsterin der Waldgenossenschaft erkundige sich öfter nach dem Stand der Forschung, berichtet Blumröder.

Im Aufbruch trifft sie Henke, der mit einer großen Zange hantiert. Ein Forstfahrzeug hat die Ecke seines Zauns demoliert, er muss ihn reparieren. Sieht er die Forscher, drängelt er: Er brauche von ihnen „Futter“, Daten als Belege für seine Thesen. In den nächsten Wochen erwartet er Försterdelegationen, denen will er Handfestes bieten. Er erzählt von seinem Kontakt mit einem Saatdrohnen-Anbieter, um versuchsweise Samen dort auszubringen, wo wegen der gestürzten Kiefern kein Mensch mehr säen kann. Sie müsste dann aber wissen, auf welchen Flächen, sagt Blumröder. Für Henke der Anlass, grundsätzlich zu werden. Er sehe nicht, dass in ihrem CleverForst bald brauchbares Holz wachse, „100 Jahre hat in Deutschland keiner Zeit“. Neben unberührter Natur müssten auch wirtschaftlich verwertbare Bäume wachsen. „Wenn sie denn noch wachsen“, sagt sie, „im Klimawandel.“

Die Lautstärke steigt. Die Vogelforscher des Projekts würden heute vermutlich keinen Zeisig mehr zählen. Henke wirft ihr fehlendes ökonomisches Denken vor, sie sagt, man brauche eine ehrliche Holz-Bepreisung und Technologien, die auch krummes Laubholz langfristig nutzbar machten. Er schwört weiter auf seinen „Mittelweg“, ein Mosaik aus naturbelassenen und Nutzflächen. Am besten deutschlandweit. „20 bis 30 Prozent Naturwälder“, sagt er, „das wäre genial. Und dazwischen könnten wir wirtschaften.“ Fiftyfifty, fände sie besser.

Die Forstwissenschaft nennt das Segregation. Müsse Wald überall alles leisten, überfordere ihn das, sagen Fachleute wie Michael Rumberg. Besser sei ein Zergliedern in kleinteilige Bereiche: solche für Holz, solche, durch die Kita-Gruppen tollen, solche für Naturprozesse. Letztere dienen dem Rest als Krisenschutz – und als Artenpool: Nicht jeder Samen ist so fluffig-leicht und fliegt so weit wie die der Pappel.

„Deswegen ist es doch gut, dass wir hier unterschiedliche Flächen haben“, sagt Jeanette Blumröder am Zaun. Von oben, aus der Perspektive des Eichelhähers – oder einer Saatdrohne -, wie zeigt sich der Wald, drei Jahre nach dem Brand? Wildnis gedeiht neben Wirtschaftsbäumen, neben Wildnis, neben Wirtschaftsbäumen. Getrennt nur durch eine Bundesstraße und ein paar Waldwege. Ein Mosaik. Die Waldzukunft beginnt zu wachsen. Zumindest im Örtchen Treuenbrietzen, Südbrandenburg.