[Lufthansa-Magazin, September 2015]
Manche stolpern beim Kürzertreten. Ins Abenteuer ihres Lebens zum Beispiel. So wie Klaus Czepluch. Mit 69 löste er, „aus Altersgründen“, seinen Garten auf, packte die Relikte seiner Berufsjahre – Instrumente, Schalter, Landescheinwerfer – in eine Kiste und schleppte sie ins Berliner Technikmuseum. „Hab jehört, ihr restauriert eine Il-14, vielleicht braucht ihr das Zeuch.“ Sie wollten auch ihn gleich da behalten. Früher war er Ingenieur bei der Interflug, wie der Zufall wollte, hatte genau jene Maschine zum Bestand seiner Abteilung gezählt. Oder war es Schicksal? Jedenfalls sagte er zu: „Hab zwar ’ne Menge Hobbys. Aber das passt noch rein.“
Neun Jahre später, an einem Dienstag auf dem früheren Flughafen Berlin-Tempelhof. Kiteboarder brettern über die Startbahn, Frisbees segeln durch die Lüfte. Czepluch parkt seinen Prius vor einer Wellblechhalle neben dem Softballfeld. Er trägt Bürstenschnitt und getönte Brillengläser, ein Lappen steckt im Gürtel seiner Grobcordhose. Zeit, sich die Finger schmutzig zu machen.
Unter dem zugigen Dach steht aufgebockt eine kolossale Stahlröhre, der 22 Meter lange Rumpf der Iljuschin Il-14. Im Innern fummelt ein Kraftprotz im Blaumann an der Elektrik für die Fotoklappen, „ein tolles Gefriemel“, stöhnt er. Kollegen wuchten die Ladeklappe aus, hinter ihnen funkeln die frisch verzinkten Schrauben des Doppelsterntriebwerks. „Morgen, Czeppi!“, wird Czepluch begrüßt, „kommste mal schnell, wir haben da was an der Rudermaschine festgestellt.“
Die meisten der ehrenamtlichen „Freunde der Il-14“ sind vor oder im Krieg geboren, doch das hier ist kein tüdeliger Basteltreff, das sind blutunterlaufene Daumennägel, das sind Brandwunden vom Schweißgerät, mit Spucke verarztet, das ist ein ölverschmiertes Dutzend Unermüdlicher mit einer Mission: Ihren gehassten, geliebten „Haufen Schrott“ in einen stolzen Flieger zurück zu verwandeln.
Es ist ein Vorhaben zwischen Idealismus und Wahnsinn. Ab 1983 ruhte die Maschine auf dem Stasiflugplatz im sächsischen Eilenburg. Zur Wende schmissen Unbekannte Fenster und Scheinwerfer ein, rissen Funkgeräte, Armaturen, Sitze heraus; „aus Frust“, wie Czepluch vermutet. „Alles wurde zerkloppt und ausgeschlachtet“. 1992 folgte die Fortsetzung der Folter: Vor dem Transport nach Berlin 1992 wurden Rumpf und Mittelstück zeitsparend mit dem Trennschleifer geteilt. Kompromisslos durch Bleche, Kabelbäume, Steuerseile hindurch.
Trotzdem: das Ziel lautet, das Flugzeug möglichst getreu in den Werkzustand zu versetzen. Metallisch blank war die Oberfläche 1958, also muss der Lack ab: Abbeizer aufpinseln, einziehen lassen, den Kärcher drauf halten. „Wir Piloten haben nichts Besseres gelernt und müssen bei solchen Arbeiten ran“, sagt Eberhard Steinkopf, ein kleiner Mann mit Gotthilf-Fischer-Frisur. Er setzt die Schutzbrille auf und lässt die olle Farbe in Fetzen vom silbernen Stahl fliegen.
Er flog die Iljuschin in seiner Ausbildung, vor 46 Jahren, da war er 21. „Simulatoren gab es damals nicht.“ Jürgen Hartmann, der beim Abbeizen hilft, hatte als Triebwerker mit den Il-14 zu tun. „Ein super Flugzeug, sehr zuverlässig“, sagt er. Steinkopf schwelgt ein bisschen mit: „Wir haben die Wolken umkurvt, sind bis nach Budapest manuell geflogen, heute knallen die Piloten kurz nach dem Start den Autopilot rein.“ Hat ihm sein Sohn erzählt. Der ist ebenfalls Pilot. Genau wie dessen Frau. Sei ihm egal, was der Enkel mal werde, sagte Steinkopf den beiden: „Hauptsache Pilot.“
Nach der Wende flog er für die Lufthansa, der Kranich auf der Arbeitshose, die er über seinem Interflug-T-Shirt trägt, zeugt von dieser Karriere. Viele seiner Kollegen machte das Aus der DDR-Fluglinie arbeitslos. „Manche konnten das nicht verkraften und haben sich vor den Zug geworfen.“ Auch die anderen ehemaligen Interflieger in der Halle kennen solche Geschichten. Beim Thema Treuhand wird es emotional. „Die haben den Laden plattgemacht“, „uns abserviert“, heißt es dann.
So ist es auch Trotz, der sie treibt. „Nach der Wende hörten wir oft, unsere Maschinen seien nur Nachbauten amerikanischer Flugzeuge gewesen“, sagt Czepluch. „Diese Ignoranz demgegenüber, dass bei uns auch Menschen gelebt haben, die arbeiten konnten, hat mich immer gestört.“
Il-14, das Flugzeug steht als Symbol für die Aufbruchsjahre der DDR-Luftfahrt. Mit ihm unternahm die Interflug, die damals noch Deutsche Lufthansa hieß, 1955 ihren Jungfernflug nach Moskau, 80 der zweimotorigen Propellermaschinen wurden in den Dresdner Flugzeugwerken bis 1959 gebaut.
Ersatzteile lassen sich nur noch über verschlungene Pfade auftreiben. Kürzlich kam der Kontakt zu einem Händler aus Polen zustande, der sein Geld mit dem Verschleudern von Flugzeugschrott verdient, „der hat dort sogar ein Raketentriebwerk zu stehen“, berichtet Czepluch. Müssen sie erst mal prüfen, ob der Kerl sauber ist, schließlich zahlt das Museum die Rechnungen.
Den Schmierstoffvorratsanzeiger erhielten sie vor ein paar Jahren zurück, nachdem sie im Eilenburger Lokalblatt einen Aufruf platziert hatten. Es war das Original, kein Zweifel: Die fehlende Ecke des Geräts hing noch an einer Schraube im Cockpit der Maschine.
Andere Teile des Puzzles bleiben verschollen. Dafür haben sie den „Justav“. Gustav Hassenflug, 79 Jahre, pensionierter Werkzeugmachermeister. Seit er an seiner Drehbank aus Billardkugeln werkgetreue Knäufe für die Gashebel und Benzinhähne zauberte, sprechen sie voller Ehrfurcht von seinen „goldenen Händen“. In einem heiteren Moment hefteten sie ihm das Aktivistenabzeichen ans Hemd, machten ihn, den Westberliner, zu ihrem Helden der Arbeit. „Das größte Kompliment für mich war“, erzählt Hassenflug, an den Schraubstock gelehnt, „als sie mir sagten, hätten sie mich eher gekannt, wären sie schneller mit den Westdeutschen warm geworden.“
Über den Förderverein des Museums stießen weitere „Wessis“ zum Team. Ingrid Beck war in Landshut Motorfluglehrerin. Die einzige Frau in der Halle zu sein: für sie kein Problem. „Wäre vielleicht eins, wenn das alles Westmänner wären. Aber im Osten waren weibliche Kollegen normal“, sagt sie. Sogar ihr Geschirr würden die Männer selbst abspülen.
Bei allen zwischenmenschlichen Erfolgen des deutsch-deutschen Projekts – es gibt Rückschläge. Fünf Mitstreiter sind über die Jahre gestorben, „die Einschläge kommen näher“, raunt der Rest und weiß nicht, ob er je fertig wird. Seit sie 2008 wegen anderer Nutzungspläne aus dem Hangar des Tempelhofer Flughafengebäudes ziehen mussten, weiß keiner, wo das fertige Flugzeug einmal ausgestellt werden soll. Man hoffe auf eine baldige Entscheidung des Senats, heißt es von Museumsseite.
„Bisschen schaumgebremst“, sei die Stimmung wegen der Hängepartie, sagt Czepluch. Warum sie trotzdem weiter machen, zeigt sich zur Mittagspause. Krümelkaffee in der Lieblingstasse, Bockwürstchen im Emailletopf, bei Kartoffelsalat und Gewürzgurken werden Storys aufgetischt. Wie bei einer feuchtfröhlichen Weihnachtsfeier aus Versehen die bundesdeutsche Hymne über die Schönefelder Werft schallte, wie sie im Hotelzimmer in Addis-Abeba mit einem Tauchsieder aus Rasierklingen Kaffee kochten. Jungsgeschichten, deren Pointen herzhafte Lacher ernten.
„Wenn man mal ganz schlechte Laune hat, muss man hier herkommen. Dann wird’s gleich besser“, sagt Gustav Hassenflug. Als Manfred sich gestern wieder über den Besitzer seines Gartens ärgerte, sagte seine Frau nur: „Reg dich nicht auf, morgen kommste wieder nach Tempelhof.“ Und Klaus Czepluch hatte neugierig wie ein Lehrling gewirkt, als er sich vorhin erstmals an der Gravierfräse zu schaffen machte: „Du lernst hier jedes Mal dazu.“ Ihr Flugzeug mag eine Ruine sein, doch sie blühen in ihr auf.
Wenn man geht, was bleibt? Manchen Menschen fällt die Antwort ganz leicht: Eine restaurierte Iljuschin Il-14, 22 Meter lang und silbern glänzend wie am ersten Tag.