Moschee? Nicht bei uns!

Eine Moschee mitten in einer beschaulichen Eigenheimsiedlung – monatelang herrschte in Nürtingen ein hitziger Nachbarschaftsstreit. Bis sich ein pensionierter Seemann und ein türkischer Fabrikarbeiter der Sache annahmen.

[GO Spezial – Bei uns daheim, Februar 2012]

Freitagstermin. Wilfried Stelzmann, 66, holt den Schirm aus dem Kofferraum. Die dunklen Wolken verheißen nichts Gutes. Der Rentner in knitterfreier Hose stützt sich auf den Schirm wie auf einen Gehstock, doch für einen Spaziergang ist er nicht gekommen. Er ist einer der zwei Männer, die dafür sorgen, dass in einer Siedlung am Stadtrand von Nürtingen Frieden herrscht.

Als die Mevlana-Moschee 1997 in das Erdgeschoss der alten Schreinerei an der Tiefenbachstraße einzog, war rundherum Brache. 2003 wurde auf dem Bauland die Siedlung „Drei Linden“ gegründet, mehr und mehr Eigenheime entstanden. Manche der Zugezogenen fühlten sich gestört in ihrer Idylle, klagten über Lärm und fremde Menschen. Zu den Gebeten und Festen kamen nicht nur die achtzig Mitglieder der Gemeinde in die Moschee, sondern auch viele Muslime aus den Nachbarorten. Die Lokalzeitung druckte wütende Leserbriefe, von gegenseitigen Beleidigungen und Drohungen war zu lesen, eine Protest-Website ging online. Bei der Stadt hagelte es Beschwerdebriefe. Vordergründig ging es um Parkverstöße. Kreuz und quer abgestellte Autos blockierten Einfahrten und die Straße zu den nahen Getreidefeldern.

Heute, an einem Freitag im Herbst 2011, ist der Weg frei. „Kein Auto“, quittiert Stelzmann stolz. Trotzdem wartet Arbeit.

Aus einer Einfahrt läuft eine Frau mit feuerroten Haaren auf ihn zu. „Herr Stelzmann, gut dass ich Sie treffe.“ Eine Mutter, die im Erdgeschoss ihres Heims eine Praxis für Physiotherapie betreibt. „Das mit den Parkplätzen läuft mittlerweile super“, sagt sie, „aber der Lärm, das geht so nicht. Bis halb zwölf stehen die vor der Moschee, zum Abschied wird noch mal gehupt, meine Tochter kann nicht schlafen.“

„Gut, kümmer’ mich“, sagt Stelzmann.

Die leicht nasale Aussprache verrät, dass er aus dem hohen Norden stammt: aus Brunsbüttel, wo die Elbe in die Nordsee fließt. Sechzehn Jahre lang ist er zur See gefahren, hat in Asien Schiffsbauten beaufsichtigt, auch in der Arktis ist er gewesen. 1976 der Umzug nach Nürtingen, angestellt bei den Stadtwerken, 2008 die Rente. „Stelzmann, du kannst nicht jeden Tag Fenster streichen“, habe er sich damals gesagt.

Er meldet sich beim Bürgertreff für ein Ehrenamt, wird Turmwächter. Auf dem Turm der Stadtkirche trägt er Anekdoten aus der Historie Nürtingens vor. 2009 fragte ihn der Leiter des Bürgertreffs, ob er Bürgermentor werden wolle; Nachbarschaftsstreitigkeiten schlichten, er könne doch so gut mit Menschen. „Wenn ihr keinen anderen Dummen findet“, antwortete Stelzmann ihm.

Nicht lange im Amt, spitzte sich der Streit in der Siedlung zu. Im Frühjahr 2010 lud der damalige Bürgermeister Anwohner und Vertreter der Moschee zum Runden Tisch. Es lief eher unrund. Von „heftigen Auseinandersetzungen“ zeugen die Protokolle. „Ging aus wie das Hornberger Schießen“, sagt Stelzmann; als Bürgermentor war er beim Treffen dabei.

Am Runden Tisch saß ein weiterer Mentor, Yasar Keskin. Stelzmann und Keskin beschlossen, „die Sache“ gemeinsam zu regeln.

Keskin, 49, hat in seinen Schuppen geladen, um von damals zu erzählen. Beim Betreten aufgeregtes Flattern und Piepen, in den Volieren hausen Kanarienvögel, Grünfinken, Gartenstieglitze, 70 Tiere momentan. „Ich kannte den Vorstand der Moschee nicht wirklich gut“, sagt er durch das Gezwitscher hindurch. Er gehe nur ein paar Mal im Jahr zum Gebet. Keskin hat ein rundes Gesicht und freundliche Augen unter den buschigen Brauen. Dass er leicht verkniffen guckt, liegt am Schlafmangel. Nachtschicht in einer Fabrik für Autoteile.

Die Vogelzucht ist sein Hobby, an der Wand kleben Urkunden vom Kanarienzüchterverein, lauter erste Plätze. Seit 32 Jahren lebt er in Deutschland, auf dem Balkon wehen zwei Flaggen, schwarz-rot-gold und rot mit weißem Halbmond. „Ich bin türkischer Schwabe“, sagt er und erzählt von seinen Kindern, der Junge studiert in Australien, die Tochter macht eine Lehre zur Industriekauffrau. „Unsere Jugendlichen können perfekt Deutsch und haben deutsche Pässe, aber Politiker sprechen immer noch von Integration. Der Respekt fehlt“, sagt er, der Ton bleibt freundlich. „Manche kritisieren gern, gehen aber nicht auf die Menschen zu.“

Anders die zwei Mentoren. Gemeinsam klapperten sie 30 Haushalte ab. Drei anstrengende Wochen. Nicht nur das Parkproblem galt es aus dem Weg zu räumen. Manch ein Hausbesitzer fürchtete, sein Grundstück könne an Wert verlieren. „Oft war nach einer Viertelstunde alles geklärt“, erinnert sich Stelzmann. Bei anderen dauerte es länger. „Einer war gegen die islamische Kultur, gehört hier nicht her, hat der gesagt.“

In den meisten Fällen konnten die beiden Mentoren erfolgreich vermitteln, lange schon wurde kein Beschwerdebrief mehr verfasst.

Dennoch dreht Stelzmann seine Runden durch die Siedlung. Vor der Moschee stehen Männer in Grüppchen zusammen, plaudern auf Türkisch oder Arabisch, rauchen, trinken Kaffee aus Plastikbechern. Dazwischen springen Kinder mit Schulranzen herum, gleich beginnt das Freitagsgebet.

Unter dem Vordach sitzt der stellvertretende Leiter der Gemeinde, Irfan Cakal. Stelzmann gibt ihm die Hand.

„Herr Cakal“, sagt er, „abgemacht war, dass die Leute bis zweiundzwanzig Uhr draußen sitzen. Eine Nachbarin hat sich beschwert, dass hier noch nach elf Betrieb herrscht.“

„Ist das so? Ich rede mit dem Vorbeter, der soll darauf hinweisen.“

„Wäre gut, die Frau ist ein bisschen verärgert.“

„Isch klar.“

„Sie denken dran“, sagt Stelzmann zum Abschied: „Ich erkundige mich in einer Woche bei der Frau, ob es besser geworden ist.“

Genug für heute, zu Hause wartet das Mittagessen. „Hoppla“, ruft er, als er sein Auto öffnen will. Nicht abgeschlossen. „Passiert mir ständig.“ Aber der Wagen steht noch, und, Blick ins Handschuhfach, der Turmschlüssel ist auch da. Ist eben eine friedliche Gegend hier.